Lasst ihn beten

Lasst ihn beten
(Begebenheit um das Jahr 1850)

In einer wilden Gegend, außerhalb der Gemeinde, in der ich Prediger war, wohnte eine zahlreiche Familie: Vater, Mutter, zwei Söhne und drei Töchter. Keiner von ihnen ging je zur Kirche. Gottvergessen und ruchlos lebten sie dahin.
Einer von den Söhnen hatte seinen vollen Verstand nicht. Sein Name war Hesekiel. Man nannte ihn jedoch nur den „armen Seke“. Da man ihn zur Arbeit nicht recht brauchen konnte, so pflegte er herumzustreichen und manchmal länger auszubleiben. Eines Tages, als ich eben von der Liebe Jesu zu armen Sündern predigte, war auch der arme Seke in der Kirche. Er sah mir gerade ins Gesicht und so oft ich sagte, dass Jesus Mitleid habe mit armen Sündern, brachen ihm die Tränen aus den Augen. Es war damals eine besondere Bewegung in meiner Gemeinde – ein Wehen des Geistes Gottes. Häufiger als sonst wurden Bibelstunden und Gebetsversammlungen gehalten, nebst Versammlungen der nach Gnade Suchenden, worin ich mich über ihren inneren Zustand mit ihnen unterredete. Der arme Seke fand sich allezeit dabei ein. Da konnte ich`s zuletzt nicht lassen, mich auch einmal an ihn zu wenden, und ihn zu fragen: „Hast du den Herrn Jesus lieb?“ – „Ja!“, war seine Antwort. – „Warum hast du denn den Herrn Jesus lieb?“ fragte ich weiter. – „O, weil er den armen, bösen Seke so lieb gehabt hat.“ – „Bist du denn böse gewesen?“ – „Ja, ich war ganz, ganz böse.“ – „Betest du auch?“ – „Ja wohl bete ich.“ – „Was sagst du denn, wenn du betest?“ – „Ich sage: o mein Jesus! Erbarme dich über den armen Seke, o nimm all mein Böses von mir.“
Eine Weile darauf ging er nach Hause. Sein Aussehen war verändert. Früher hatte er so stumpf dahin gestiert, dass man meinte, es sei kein verständiges Nachdenken in ihm. Jetzt war`s nicht mehr so. Als er heimkam, wurde so gelärmt und allerlei Übermut getrieben, dass seines Bleibens im Hause nicht war. Er ging also in die Scheune, fiel auf seine Knie und betete in seiner einfältigen, gebrochenen Sprachweise zu dem Gott, der auch das kleinste und schwächste seiner Kinder versteht und erhört. Nach einer Weile kam sein Bruder in die Scheune, und hörte ihn so inbrünstig zu Gott schreien, dass es ihn beunruhigte. Er lief daher zum Vater und erzählte ihm fluchend: „Seke ist in der Scheune beim Beten!“ Alsbald lief der Vater hinzu, horchte und fand, dass der Junge wirklich bete. Er trat zu ihm und schalt mit ihm, aber Seke schrie nur um so mehr zu Gott. „Schweig still, Seke!“ sagte der Vater zornig. Allein er ließ sich nicht stören. Da ergriffen sie ihn, brachten ihn ins Haus und meinten, hier würde er sich zur Ruhe geben. „Wo bist du doch gewesen und was ist mit dir vorgegangen, dass du auf einmal solche Dinge anfängst?“ fragten sie. Er erzählte ihnen nun ganz verständig, was sich mit ihm zugetragen habe. Aber sie wollten nichts davon wissen. Nur um so heftiger schalt sein Vater ihn aus. Als Seke sah, dass all sein Reden umsonst war, fiel er vor Betrübnis auf seine Knie und betete. Sein Vater wollte ihn mit Gewalt zum Schweigen bringen, aber die Mutter hatte ihren armen Jungen lieb, und bat die anderen flehentlich: „Lasst ihn beten.“
So betete denn der arme Seke fort. Als er aufstand von seinem Gebet, sagte seine Mutter: „Ich meine, es ist hohe Zeit für uns alle, dass wir anfangen zu beten. Willst du für deine Mutter beten, Hesekiel?“ – „Ja, gern.“ sagte er, und wieder kniete er nieder und seine Mutter kniete mit. Es dauerte einige Tage, da war auch die Mutter voll Freude und Dankbarkeit darüber, dass Jesus sie geliebt und sein Leben für sie gelassen habe. Mit seinem Bruder war`s mittlerweile dahin gekommen, dass er seufzte: „Ach, wie soll ich`s doch anfangen, dass ich auch so werde?“ Der arme Seke sagte: „Geh zu Jesus!“ Er und die Mutter beteten mit dem jetzt herzlich bekümmert Gewordenen, bis sein Schmerz sich in unaussprechliche Freude verwandelte. Die drei Töchter suchten und fanden ebenfalls Gnade. So waren ihrer jetzt fünf auf Sekes Seite, alle zusammen für den noch ungläubigen Vater betend. Seine Gefühllosigkeit und Verhärtung war groß. Er spottete, widerstrebte und schimpfte, so viel er nur konnte. Endlich war auch sein Herz gebrochen. Er weinte wie ein Kind, ging zu seinem Sohne, bat ihn um Vergebung und forderte ihn auf, mit ihm zu beten. Da fiel denn seine Last von ihm, und auch er freute sich Gottes, seines Heilandes.
Es war ein lieblicher Anblick, diese Sieben, die zuvor so ohne Gott und wider Gott dahingelebt hatten, jeden Morgen und Abend ihre Knie beugen zu sehen als solche, die dem Dienste des mächtigen Gottes sich ergeben hatten. Und ein froher Tag war’s, als bald darauf der arme Seke mit Vater, Mutter, Bruder und Schwestern sich einer christlichen Gemeinde anschloss und das Mahl des Bundes mitfeierte.
Lieber Leser! Hat Jesus sich dir kund getan als dein Heiland, o so bekenne ihn frei vor den Menschen. Denke nicht, du seist zu schwach, zu ungeschickt dazu. Der arme Seke beweist dir das Gegenteil. Wolle nur, lass dir’s nur recht ernst sein, brich durch – so wirst du gewiss finden, dass du mit der Hilfe Gottes es auch tun kannst!

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Leicht gekürzt aus den „Christlichen Geschichten“ von Ludwig S. Jacoby, zweite Auflage im Jahre 1857. Alle Artikel der Kategorie Geschichten von Christliche Perlen untereinander.

2 Kommentare (+deinen hinzufügen?)

  1. Rainer
    Jul 19, 2016 @ 09:13:03

    Ja, preist den HERRN! Wir haben einen lebendigen GOTT!ER hört und erhört über unser Verstehen hinaus!

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